EIN KLEINER, GANZ PERSÖNLICHER WEIHNACHTSGRUSS

..2020… ein besonderes Jahr geht zu Ende

Wir haben es uns zur Tradition gemacht, jedes Jahr eine eigene Weihnachtsgeschichte zu verfassen. Dieses Jahr soll die Weihnachtsgeschichte eben dieser besonderen Situation Rechnung tragen, die wir gerade durchleben und die uns vielleicht auch dazu zwingen, das Weihnachtsfest etwas anders als gewohnt zu feiern.

DIE PUPPE

Weihnachtsgeschichte von Hannes Rottensteiner – N.2

Ich habe es erst viel später erfahren, wie es dazu kam, zu diesem einen Weihnachten. Damals lief im Fernsehen den ganzen Tag diese Werbung, von der einen Puppe, die „Hallo Mama!“ sagt, wenn man ihr auf den Bauch drückt. Und freilich wünschten sich damals alle Mädchen diese eine Puppe. Das Problem war nur: Papi hatte seine Arbeit verloren, das Geld langte hinten und vorne nicht, und bloß der Gedanke an das Weihnachtsfest bereitete ihm Kopfzerbrechen. An jenem Weihnachten hatten wir also den letzten Weihnachtsbaum, den niemand haben wollte, weil er schief war und zu wenig Äste hatte. Wir hatten keine Weihnachtsgans, es gab Hühnchen. Und es gab freilich auch keine Puppe, die „Hallo Mama!“ sagte.

Und so standen wir also an Heiligabend vor unserem schiefen, schütteren Weihnachtsbaum. Die Kerzen vom Vorjahr brannten und erfüllten den Raum mit ihrem warmen Licht. Aus der Küche drang der Duft des Hühnchens – sind wir ehrlich, welches Kind hat Gans lieber als Hühnchen? Und dann kam es zur Bescherung. Selten habe ich meine Eltern so aufgeregt gesehen, als ich schön langsam das Papier von meinem Geschenk entfernte. Es war eine Puppe, keine, die man im Laden kaufen kann. Es war eine selbstgemachte Puppe, mit blondem Haar, blauen, aufgemalten Augen, einer Drahtbrille und einem Kleid aus dem Stoff, dessen Kleid ich im Sommer beim Spielen zerrissen hatte. Es war eine Puppe, die aussah, genau so wie ich! Ich fiel meinen Eltern um den Hals, so sehr freute mich über meine ganz und gar eigene Puppe!

Ich habe diese Puppe immer noch, und meine Tochter spielt immer noch mit ihr, wenn sie auch einen neuen Kopf hat, eine neue Brille und die Haare ersetzt werden mussten. Sie erinnert mich stets an jenes besondere, weil so warmherzige Weihnachten. Weihnachten muss nicht besser sein. Weihnachten muss nicht perfekt sein. Weihnachten muss einfach nur – Weihnachten sein. Und sind wir ehrlich: Welches Kind kümmert sich darum, wie viele Äste ein Weihnachtsbaum hat?

Wir senden Ihnen in diesem doch sehr besonderen Jahr warme und herzliche Weihnachtsgrüße voller Hoffnung und Zuversicht.

Familie Rottensteiner